von Maria Lourdes
Mein Dank gilt dem Kommentar-Schreiber – “Friedland” bei Lupo-Cattivo-Blog- für die Ausarbeitung und Zusendung dieses Artikels. Maria Lourdes
Dies ist die Geschichte von einem kleinen Völkchen in Mitteleuropa, das man in den Wirren in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg einfach vergessen hatte, da es für die Ränkespiele der großen Politik einfach zu uninteressant war.
In früheren Zeiten nannte man es die Deutschböhmen und erst viel später, als es zum politischen Kampfbegriff wurde, die Sudetendeutschen, abgeleitet vom Gebirgszug der Sudeten.
Entlang dieses Gebirgszuges, jenseits der deutschen Grenzen, waren diese Deutschen in einem breiten Streifen zwischen vierzig und achtzig km seit über siebenhundert Jahren ansässig.
Warum sie dort nicht mehr anzutreffen sind und wer für ihren Untergang verantwortlich zeichnete, soll hier zum Gedenken an den 75. Jahrestag des Münchner Abkommens dargestellt werden.
In diese, meine ehemalige Heimat, waren die Vorfahren gekommen, um das Land urbar zu machen, es wirtschaftlich zu entwickeln und Städte zu gründen.
Alle Städtegründungen in diesem Raum gehen auf deutsche Kolonisten zurück, mit Ausnahme von Tabor, das eine tschechische Gründung ist.
Dieses Völkchen, immer emsig schaffend, brachte das ihm anvertraute Land bis zum dreißigjährigen Krieg zu einer ersten Blüte und in der Zeit der Re-Katholisierung entstand mit dem Barock, der das Gesicht dieses Landstriches bis heute prägt, eine wirtschaftliche Vormachtstellung, die bis zum Beginn des 1. Weltkriegs im Gefüge der K.- und K.- Monarchie anhielt. Die höchsten Steuereinnahmen kamen aus diesem böhmischen Raum.
Böhmen, daß geographisch durch die Sudeten, das Erzgebirge und den Böhmerwald begrenzt wird, erhielt seinen Namen durch die in den Jahrhunderten vor Christi Geburt ansässigen keltischen Bojer. Ihnen folgten die germanischen Stämme der Markomannen und Quaden nach. Erstere wanderten zur Donau hin ab und wurden später Bajwaren genannt, der in dem Volksstamm der Bayern weiterlebt.
Um das 6. Jhd. nach Chr. sind die Slawen im Böhmischen Becken nachweisbar, die von den Awaren, einem mongolischen Reitervolk, unterworfen worden waren.
Im Jahre 845 ließen sich erstmalig vierzehn slawische Herzöge in Regensburg taufen und seit dem Jahr 929 wird Böhmen erstmals, seit 950 endgültig von deutschen Königen und Kaisern unterworfen und verbleibt bis zur Auflösung der Österreich-ungarischen Doppelmonarchie Bestandteil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation bzw. Teil der Habsburger Monarchie. Bereits 1257 tritt der Böhmenkönig als siebter Kurfürst zu den bis dahin sechs deutschen Kurfürsten, die das Recht zu Wahl eines deutschen Königs haben, der in der Regel danach auch deutscher Kaiser wird.
Mit Kaiser Karl IV., König Wenzel und Kaiser Sigismund werden drei Könige von Böhmen selbst Könige und Kaiser des Deutschen Reiches.
In dieser Zeit wird für fast einhundert Jahre Prag das Herrschaftszentrum Deutschlands und zugleich mit Böhmen der politische und kulturelle Mittelpunkt des Deutschen Reiches. In diese Zeit fallen auch die erste deutsche Universitätsgründung in Prag und der Erlaß der Goldenen Bulle, einer ersten Verfassung für das Deutsche Reich.
1526 gelangte Böhmen durch Königswahl zum Hause Habsburg, wo es bis 1918 verbleibt.
Das Land Böhmen ist um die Jahrtausendwende noch dünn besiedelt. Um die wirtschaftliche Situation zu verbessern, förderten die tschechischen Herrscher, besonders aber König Premysl Ottokar II. die deutschen Ansiedlungen.
Es begann die Zeit der großen Kolonisation durch Geistliche, Kaufleute, Bauern, Handwerker, Bergknappen und andere und nicht zuletzt auch deutsche Prinzessinnen mit ihrem Gefolge, die mit böhmischen Herzögen und Königen verheiratet wurden.
Nicht nur die besonders guten klimatischen Bedingungen und fruchtbare Böden sondern auch die reichhaltigen Bodenschätze (Edel- und Bundmetalle, später Braunkohle) boten den Zuzüglern reiche Erträge und das kontinuierliche Anwachsen der Ortsgründungen.
So wuchs Böhmen als Herzland des Deutschen Reiches heran, mit seiner zentralen Lage beherrschte es die wichtigsten Verkehrswege des Fernhandels und sein unermesslicher Silberreichtum sowie der Reichtum an Blei, Zinn und Kupfer beschleunigte die weitere wirtschaftliche Entwicklung des Landes.
Das goldene Zeitalter Böhmens begann mit der Regierungszeit Johann von Luxemburg (1310 -1346), aus dessen Ehe mit der zänkischen, um vier Jahre älteren Primislidin Elisabeth 1316 der Sohn Karl hervor ging. Als Kaiser Karl IV. übernahm er von 1346 bis 1378 die Herrschaft über Böhmen und das Deutsche Reich. Die Kolonisation machte unter ihm weitere Fortschritte mit dem Erfolg einer ungeahnten wirtschaftlichen und kulturellen Blüte. Neben dem Ausbau des Fernhandels entstanden mit der Nutzung der Wasserkraft Nagelschmiede, Hammerwerke, Sägemühlen, Webereien und im Riesengebirge und im Böhmerwald die Glasbläser. Eine erste gesetzlich geregelte Forstpflege entstand und im Elbetal am Elbdurchbruch um Tschernosek wurden Weingüter angelegt.
Die Erhebung Prags zum Erzbistum und der Auftragsvergabe für kirchliche und städtische Neu- und Umbauten an die aus Schwäbisch Gmünd stammende Bauhütte der Parler veränderte den baulichen Charakter und das Gesicht dieser Stadt grundlegend.
Seine Residenz, die Prager Burg auf dem Hradschin erhielt nach dem Vorbild der gotischen Kathedralen Frankreichs den Veitsdom, der Grablege aller Kaiser und Könige von Böhmen. Im Zentrum der Stadt entstand ein Ensemble von neuer Moldaubrücke und zwei Brückentürmen, die diese beidseitig begrenzte.
Weitere Pracht- und Kirchenbauten nebst Stadtgründungen wie Teplitz oder Karlsbad folgten.
Auf der Grundlage einer neugeschaffenen Kanzleisprache und zur besseren Verständigung untereinander entstanden in Prag die Grundlagen der neuhochdeutschen Schriftsprache. Sie drückt sich aus in dem ersten reinen Werk des Frühhumanismus, des „Ackermann aus Böhmen“, von einem Deutschböhmen geschrieben.
Am Ende der Regierungszeit Karls IV. waren Böhmen und Mähren nach zuverlässigen Berechnungen zur Hälfte deutschsprachige Länder.
Karl war einer der bedeutendsten Herrscher des Mittelalters und wohl der größte, der je die böhmische Krone trug. Er war hochgebildet, bewandert in den Wissenschaften seiner Zeit, juristisch, diplomatisch und theologisch geschult, ein guter Schriftsteller, der erste Herrscher, der seine eigene Vita selbst geschrieben hat. Ein Autoritätsverfall in Staat und Kirche folgte, der in eine Ketzerbewegung mündete und mit einer reformatorischen Bewegung um Johannes Hus seinen Höhepunkt erreichte. Sein Feuertod in Konstanz am 6. Juli 1415 löste eine Welle von Haß und Gewalt aus, die sich, aus innerkirchlichen Spannungen aufgrund reformatorischer Bestrebungen zu einer antideutschen, nationaltschechischen Bewegung entwickelte und zu einer ersten Vertreibungswelle unter den Deutschen führen sollte.
Hier hatte eine Entwicklung ihren Anfang genommen, die die tschechische Volksseele für Jahrhunderte beschädigen sollte und deren Schaden durch die Hinrichtung der Rebellen, die an der Schlacht am Weißen Berge 1620 teilgenommen hatten, noch verstärkt wurde.
Es entlud sich erstmalig ein über lange Zeit aufgestauter Rassenhaß im slawischen Volksteil, der mit sozialen und religiösen Komponenten gemischt, ein erster Fingerzeig war für das, was in einer späteren Zeit noch zu erwarten war.
Die weitere Entwicklung unter den Habsburgen bescherte Böhmen mit der Rekatholisierung nach dem Dreißigjährigen Krieg und dem Zeitalter des Barock eine Epoche der Konsolidierung, eine Umwandlung und Erneuerung des böhmischen Adels und den Aufbruch in eine neue Zeit. Frühindustrialisierung, Wiener Kongreß und sich ankündigende nationale Gegensätze sollten auch in Böhmen ihre Spuren hinterlassen.
Die Februar-Revolution von 1848 in Frankreich hatte genügt, die europäische Staatenwelt in den Grundfesten zu erschüttern, sie griff auf Wien über und erreichte rasch die böhmischen Landesteile. Der Historiker und Politiker Frantisek Palacky als treibende Kraft einer tschechischen Nationalbewegung beflügelte die weitere Entwicklung unter den Tschechen, die einen Slawenkongreß nach Prag einberiefen sozusagen als Gegenbewegung zu Paulskirchenversammlung 1848.
Die Entwicklung des deutschen Dualismus zwischen Preußen und Österreich gipfelte in der Schlacht von Königgrätz, der unter den böhmischen Regimentern verheerende Verluste forderte durch die damals modernen preußischen Zündnadelgewehre.
Die in der Folge kleindeutschen Reichsgründung Bismarcks von 1871 war letztendlich Anlaß und Ausgangspunkt des zweiten dreißigjährigen Krieges, beginnend im August 1914 mit dem 1. Weltkrieg und weitere 25 Jahre darauf mit seiner Fortsetzung 1939, der mit seinen verheerenden Folgen für Europa und andere Teile der Welt am 8. Mai 1945 enden sollte.
Bereits im Jahr 1915 begab sich ein damals unbekannter tschechischer Professor Masaryk ins Ausland, um seinen Kampf gegen das Habsburgerreich aufzunehmen. Ihm folgte ein Herr Dr. Benesch nach, der gleichfalls wie Masaryk, Freimaurer war und gute Verbindungen zu französischen und britischen Politikern aufgebaut hatte. Masaryk, sprachkundig und mit einer Amerikanerin verheiratet, hatte sich zudem die Sympathien des Weltjudentums erworben als er im laufe eines Prozesses für den eines Ritualmordes angeklagten Juden Leopold Hilsner eingetreten war. Als gesuchte Hochverräter kämpften beide für die Zerstörung Österreichs und für einen tschechischen Staat auf der Grundlage der geistigen Tradition eines Jan Hus.
Erfolge in diese Richtung sollten sich bald einstellen, als es Benesch gelang, die Anerkennung des Tschechoslowakischen Nationalrates als Regierung eines kriegführenden Staates zuerst bei den Franzosen, dann bei den Briten und schließlich bei den USA durchzusetzen. Völkerrechtlich gesehen ein Unsinn, da die „Regierung“ über kein Territorium verfügte.
Als im Oktober 1918 Österreich ein Sonderfriedensangebot Präsident Wilson unterbreitete und sich bezüglich seiner „14 Punkte“ auch auf die Minderheitenrechte in seinem Vielvölkerstaat berief, erklärte dieser den Tschechoslowakischen Staat als bereits souverän anerkannt.
Mit dieser Stütze im Rücken rissen die Tschechen die Macht an sich und bildeten am 28. Oktober 1918 in Prag einen Nationalrat, der den unabhängigen Tschechoslowakischen Staat proklamierte und die Regierungsgewalt übernahm.
Das Selbstbestimmungsrecht der übrigen Minderheiten von Deutschen, Slowaken, Ungarn und Ruthenen war bei diesem Gewaltakt einfach unter den Tisch gefegt worden. Die Regierung in Wien fügte sich der vollzogenen Tatsache.
Durch das Diktat von Versailles wurde dieser Gewaltakt nochmals bestätigt, obwohl von den führenden Vertretern der Entente starke Bedenken gegen eine Einverleibung der sudetendeutschen Gebiete durch den tschechischen Staat geäußert wurden. Doch Benesch hatte durch verschiedene Memoranden, besonders aber mit dem berüchtigten Memoire III alle Bedenken zu zerstreuen vermocht, das allerdings aus Lügen und Fälschungen über die Zusammensetzung der Minderheiten im tschechischen Staat bestand. Der historische Weg dieses tschechischen Staates war forthin auf einer Lüge aufgebaut, ganz im Gegensatz zu seinem im Staatswappen ausgewiesenen Wahlspruch:
Die Wahrheit siegt!
Welch eine Blasphemie.
Schon damals kursierten unter den tschechischen Politikern Gerüchte zu Überlegungen, die deutsche Minderheit zu vertreiben, die dann hin und wieder auch über die Presse in die Öffentlichkeit gelangten.
Die tschechische „Revolution“ hatte nicht nur einen antideutschen, sondern und vor allem auch einen stark anti-katholischen Zug. Wien sei gefallen, hieß es, nun müsse auch Rom fallen, ganz nach hussitischer Tradition wurde eine tschechische Nationalkirche gegründet. Der als „höhere Schweiz“ sich selbst so bezeichnende Staat besaß als einziger der neu geschaffenen Staaten in Europa keine aus freier Volksentscheidung erwachsene Verfassung.
Wären die Sudetendeutschen in der Lage gewesen, auf diesen Umstand mit entsprechendem Nachdruck hinzuweisen, laut zu protestieren und die Rechtswidrigkeit der tschechoslowakischen Staatsordnung immer wieder zu bekunden, wäre die Krise des tschechischen Staates nicht erst 1938 eingetreten.
Uneinigkeit und Unentschlossenheit, vielleicht auch eine in gewissen Graden vorhandene Unfähigkeit unter den Sudetendeutschen, mit der neuen Situation umzugehen, führte dazu, daß man zunächst versuchte, sich mit den Verhältnissen zu arrangieren.
Erst als in der Mitte der dreißiger Jahre die Zustände auch aufgrund der anhaltenden Wirtschaftskrise im Lande unhaltbar wurden, verstärkte sich der Volkstumskampf harten Stils. In den Jahren zuvor erlebte die deutsche Minderheit eine Tschechisierung, die bis in die Jahre 1937/38 in einen Polizeistaat mündete.
Die teils gewaltsame und systematisch durchgeführte Tschechisierung sollte auf lange Sicht die Entnationalisierung großer Teile des sudetendeutschen Volkstums und vor allem die Zerstörung des geschlossenen deutschen Sprachgebietes erreichen. Der tschechische Sozialdemokrat Bechyne hat einmal sehr offen die Absichten der tschechischen Politik aufgedeckt, als er davon sprach, daß man in 20 bis 25 Jahren die Zahl der Deutschen so weit verringert und das geschlossene deutsche Sprachgebiet so weit mit Tschechen durchsetzt haben werde, daß die Deutschen keine Gefahr mehr für die Republik bedeuten würden. Die Maßnahmen richteten sich insbesondere gegen das deutsche Schulwesen und die Hochschulen, gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst und gegen die deutsche Selbstverwaltung.
Die Weltwirtschaftskrise von 1930 brachte zusätzliche Erschwernisse für den deutschen Bevölkerungsteil und führte zu einer wachsenden Verelendung mit bis zu über einer halben Million arbeitsloser Sudetendeutscher. In diesem sich radikalisierenden Klima entstand unter der Leitung von Konrad Henlein die Sudetendeutsche Heimatfront, die sich dann 1935 Sudetendeutsche Partei nannte, um an den Parlamentswahlen teilnehmen zu können.
Der erzielte Wahlsieg, den die SdP am 10 Mai 1935 errang, übertraf alle Erwartungen. Es war ein Erdrutsch, wie seit der Einführung des Verhältniswahlrechts im Sudetendeutschtum noch nicht erfolgt war. Die Partei erhielt 1 249 530 Stimmen und errang damit einen Vorsprung vor den tschechischen Agrariern, die mit 1 176 493 Stimmen die zweitstärkste Partei im Staat wurden. Nur mit einigen Rechenkunststücken brachte die Regierung es zuwege, der Agrarpartei zu 45 Mandaten und damit zu einem Sitz mehr als der Henleinpartei zu verhelfen. Die tschechische Öffentlichkeit erschrak vor dem Ausmaß dieses Sieges.
Benes versuchte in jenen Jahren, sein umfangreiches und kompliziertes Bündnissystem weiter auszubauen. Er hoffte, Deutschland regelrecht einkreisen zu können. Die Tschechoslowakei und Frankreich schlossen Bündnisverträge mit der Sowjetunion. Über die Kleine Entente war man mit dem Balkanbund verklammert. Frankreich war mit Polen verbündet, die Tschechoslowakei mit Frankreich.
Der spanische Bürgerkrieg zwang die Westmächte zu einer zwiespältigen Schaukelpolitik, da sie zwar nicht den Sieg des nationalen Lagers wünschten, das von Deutschland und Italien unterstützt wurde, aber auch nicht den Sieg des Kommunismus und der Sowjetunion wünschen konnten. Deutschland begann einseitig Schritt um Schritt den Vertrag von Versailles zu revidieren.
Um jene Zeit veröffentlichte der amerikanische Diplomat Hunter-Miller sein Tagebuch aus der Zeit der sogenannten Friedenskonferenz. Es enthielt eine Reihe von Enthüllungen, die Benes moralisch schwer belasteten. Sein Ansehen in England wurde tief erschüttert. Die deutsche Propaganda nützte das selbstverständlich aus. Schon begann man in England, die Tschechoslowakei moralisch abzuschreiben.
Durch Vermittlung von Oberst Christie gelang es den Außenpolitikern der SdP, Beziehungen zu maßgeblichen Kreisen Englands aufzunehmen und Henlein selbst mit Engländern in Verbindung zu bringen. Die Reisen und Vorträge Henleins in London und anderswo hatten, da sie in eine günstige weltpolitische Situation fielen, eine ungeheuere Wirkung. Die Tschechoslowakei war zu dieser Zeit durch Jan Masaryk, Sohn des Staatspräsidenten, in London nicht gut vertreten.
In der britischen Öffentlichkeit wuchs seit 1936 die Überzeugung, daß Benes ein Lügner, daß die Tschechoslowakei eine Fehlgründung und eine Gefahr für den Weltfrieden sei und daß nur durch wesentliche Zugeständnisse an die Sudetendeutschen diese Gefahr beseitigt werden könne. Die öffentliche Meinung Englands zeigte immer weniger Neigung, Frankreich in einen Krieg zu folgen, den es für die Erhaltung der Tschechoslowakei in ihrer gegenwärtigen Form führen müsste.
Da aber Frankreich nicht bereit war, ohne England in einen Krieg zu ziehen, und Russland nur dann zur Hilfe für die Tschechoslowakei verpflichtet war, wenn Frankreich kämpfte, war Benes´s großes Bündnissystem ein Koloß auf tönernen Füßen geworden.
Innenpolitisch verschärfte sich die Lage durch immer neue Schikanen der tschechischen Polizei, der Zensur und der Regierung gegen die Sudetendeutschen. Die Wirtschaftskrise dauerte an, die Tschechisierung ging weiter. Sie SdP legte beim Völkerbund ihre Beschwerden vor. Sie brachte im Parlament Anträge zum Schutze des Volkstums ein. Wenn auch diese Vorstöße ohne praktischen Erfolg blieben, so wirkten sie doch propagandistisch weit über die Grenzen des Staates hinaus.
Die wachsende Macht Deutschlands bestärkte die Sudetendeutschen in ihrer Hoffnung, daß die Krise des tschechischen Staates nicht mehr fern sei. Die Beseitigung der Arbeitslosigkeit im Deutschen Reich wirkte sich bei den von der Krise heimgesuchten Sudetendeutschen als stärkstes Werbemittel für den Nationalsozialismus aus.
Am 18. Februar 1937 richteten Präsident Benes und Ministerpräsident Hodza Briefe an die drei deutschen Regierungsparteien, in denen sie endlich greifbare Zugeständnisse versprachen. Von nun an sollten die Stellen im öffentlichen Dienst nach dem Bevölkerungsschlüssel vergeben und geschehenes Unrecht im Rahmen des Möglichen gutgemacht werden. Aber die Aktion kam nicht vom Fleck. Noch ein ganzes Jahr nach dem 18. Februar war so gut wie nichts geschehen.
Die sudetendeutschen Vertrauensleute, die in den dreißiger Jahren in Berlin vorsprachen, stießen oft auf eine kühl, sogar schroff ablehnende Haltung oder wurden zu einzelnen Größen des Dritten Reiches gar nicht erst vorgelassen. Auch die Unterstützung, die man der SdP schließlich gewährte, war weit bescheidener, als man auf tschechischer oder sozialdemokratischer Seite annahm, sie war offensichtlich an keine Bedingungen gebunden und erfolgte im Rahmen der Stützung deutschen Volkstums im Ausland.
Die manchmal geradezu abweisende Haltung Berlins gegenüber den Sudetendeutschen hielt bei einigen der Machthaber und Funktionäre des Reiches und der Partei bis in das späte Frühjahr 1938 vor. Allerdings waren alle Beziehungen vielfach verschlungen und oft schwer zu übersehen und zu entwirren.
Äußerlich schien an der Jahreswende 1937-38 alles noch ruhig. Unter der Oberfläche aber bereiteten sich Entscheidungen vor, deren Nahen nur die wirklichen Politiker mit dem sechsten Sinn spürten, Herr Benes sah sie nicht kommen.
Der Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich war die Erfüllung eines seit 1866 gehegten deutschen Traumes, der 1919 für kurze Zeit wieder lebendig geworden war. Noch mehr aber hatte die passive Haltung der Mächte angesichts der Nichtbeachtung des Anschlußverbotes stärkste Rückwirkungen auf das Sudetendeutschtum.
Die weitere Entwicklung bis in die zweite Jahreshälfte 1938 ist geprägt von einer dichten Abfolge von Ereignissen, die punktuell nach Wichtigkeit wiedergegeben werden soll:
12. März 1938: Anschluß Österreich an das Deutsche Reich
März 1938: Henleins „Acht Karlsbader Punkte“
21. Mai 1938: tschechische Teilmobilmachung (Wochenendkrise)
30. Mai 1938: Hitler beschließt Zerschlagung der CSR
August 1938: Mission Runciman
Englische Untersuchungskommission zur Untersuchung und Vermittlung im tschechoslowakisch-sudetendeutschen Streit
Anfang September 1938: Benesch „4. Plan“, Lösungsvorschläge ohne Inhalt, Unruhen und Standrecht im Sudetengebiet; Henlein geht über die Grenze, SdP aufgelöst
11. September 1938: Hitlers Nürnberger Rede, Auszug:
„Was die Deutschen fordern, ist das Selbstbestimmungsrecht, das jedes andere Volk auch besitzt. … Ich stelle die Forderung, daß die Unterdrückung der dreieinhalb Millionen Deutschen in der Tschechoslowakei aufhört und an anderer Stelle das freie Recht der Selbstbestimmung tritt. … Im Übrigen ist es Sache der tschechoslowakischen Regierung, sich mit den berufenen Vertretern der Sudetendeutschen auseinanderzusetzen und eine Verständigung so oder so herbeizuführen“ (Rede Original hier).
15./16. September 1938: Chamberlain bei Hitler in Berchtesgaden
Erster Vermittlungsversuch Chamberlains
18. September 1938: Westmächte beschließen Abtrennung der deutschen Gebiete von der CSR
Englisch-französischer Abtretungsplan: >Abtretung der Gebiete mit über 50% sudetendeutscher Bevölkerung an das Deutsche Reich<
21. September 1938: CSR nimmt britisch-französisches Ultimatum zu diesem Plan an
22. September 1938: Putsch der Prager Gasse, Ministerpräsident gestürzt, Kabinett Syrovy
23. September 1938: Chamberlain in Godesberg, neue Forderungen Hitlers; Benes verkündet Mobilmachung
26. September 1938: Hitler spricht im Sportpalast, Rede-Protokoll hier
27. September 1938 Verhaftungswelle unter den Sudetendeutschen durch die tschechische Polizei und Verbringung in Internierungslager
28. September 1938: Mussolini schlägt Konferenz vor
29. September 1938: Viermächtekonferenz in München beschließt Durchführungsbestimmungen zum britisch-französischen
Abtrennungsbeschluß
1. – 10. Oktober 1938: Übergabe des Sudetengebietes an die deutsche Wehrmacht
5. Oktober 1938: Rücktritt von Benes und Exil
Das Münchener Abkommen vom 29. September 1938 hat nicht die Abtretung der Sudetengebiete bewirkt, es ist vielmehr ein Vertrag zwischen den vier Großmächten zur technischen Durchführung der Abtretung des Sudetengebietes, über welche am 21. September 1938 eine Einigung zwischen Frankreich und England einerseits und der tschechoslowakischen Regierung andererseits erfolgt war.
Die weitere Entwicklung kennen wir. Es folgte die Einverleibung der Resttschechei am 15. März 1939 durch das Deutsche Reich, dessen Politik, so wollte man uns jahrelang weiß machen, nach Kriegsende zur Vertreibung der „Heim ins Reich“ geholten Sudetendeutschen führte.
„Heim ins Reich“ war auch der tausendfach ausgeschriene Schlachtruf der Tschechen bei der Vertreibung von dreieinhalb Millionen Sudetendeutschen.
Heute liegen die von den Sudetendeutschen bewohnten Ländereien vielfach immer noch brach. Häuser stehen teilweise immer noch leer, fürchtet man die vielen Seelen der Ermordeten, die sich dort immer noch aufhalten?
Nein, das war rückblickend kein tschechisch-deutsches Drama, wie der Buchtitel von Gerd Schultze-Rhonhof suggeriert, es ist eindeutig ein Drama eines slawischen Volkes, das durch seine politischen Führer fehlgeleitet, meinte, mit einem übersteigerten Nationalismus Ereignisse aus seiner historischen Vergangenheit in der Gegenwart mit brutaler Gewalt und Fanatismus korrigieren zu können.
Ein für mich in seinem gegenwärtigen Wirken trauriges Volk, dem es bislang nicht gelungen ist, seine mit furchtbaren Verbrechen belastete Vergangenheit aufzuarbeiten und den verbliebenen Resten der Sudetendeutschen die Hand zu reichen und sich zumindest offiziell zu entschuldigen. An einem entsprechenden Verhalten wird die wahre Größe eines Volkes zu messen sein oder auch nicht.
Die Sudetendeutschen haben nach ihrer Vertreibung abermals in die Hände gespuckt, die Ärmel aufgekrempelt und ganz von vorn angefangen, wie sie es sieben Jahrhunderte zuvor schon einmal getan hatten. Ohne sie und die vielen anderen vertriebenen Volksgruppen wäre Deutschland nicht das geworden, was es heute ist.
Spätestens im Jahre 2046 werden die letzten Reste dieses Volksstammes verschwunden sein, der Geist und die Schaffenskraft werden aber dem deutschen Volk in seinen Nachkommen erhalten bleiben.
Literatur:
- Gerd Schultze-Rhonhof, Das tschechisch-deutsche Drama 1918-1939, Olzog Verlag, 2. Auflage 2011
- Emil Franzel „Sudetendeutsche Geschichte“, 2002, Flechsig 2002, 30. September 2013